Der Schimmelreiter
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Hauke Haien, Sohn eines Kleinbauern, ist von früh an fasziniert von der See und insbesondere von Deichen. Bereits als kleiner Junge entwickelt er den Konstruktionsplan eines neuen Deiches, der seiner Meinung nach besser vor Sturmfluten schützen würde. Von dem Wunsch angetrieben, einen derartigen Deich bauen zu können, wird er Kleinknecht des Deichgrafen. Sein Ehrgeiz wird belohnt, als er die Tochter des Deichgrafen heiratet und schlussendlich dessen Nachfolger wird. Seinen Traum kann Hauke jedoch nur gegen starken Widerstand der Dorfbevölkerung verwirklichen, deren Ablehnung vor allem auf Aberglauben beruht, der noch gefördert wird, als Hauke einen mageren Schimmel erwirbt, der unter seiner Pflege prächtig gedeiht und sich jedem außer dem Besitzer verweigert. Das Gerücht, dass dieser Schimmel ein wiederbelebtes Pferdeskelett und daher mit dem Teufel verbunden, gar der Teufel selbst sei, verstärkt das Misstrauen der Dorfbewohner gegenüber dem jungen Deichgrafen. Als eine Sturmflut das Dorf bedroht, könnte Hauke den alten Deich nur durch Zerstörung des neuen retten, was er aber verweigert. Tatsächlich bricht der alte Schutzwall und Hauke muss mit ansehen, wie seine geliebte Frau und sein Kind in den Fluten umkommen. Verzweifelt stürzt er sich ebenfalls mit seinem Schimmel in die Strömung – und die Sage des “Schimmelreiters” ist geboren.
Autor: Theodor Storm
Illustration:
ca. 124 Seiten
Leseprobe
Da legte sie die Arme fest um seinen Nacken: ‚Du hast recht, Hauke, und was kommt, kommt für uns beide.’ Dann löste sie sich errötend von ihm. ‚Du wolltest von dem Schimmel mir erzählen’, sagte sie leise.‚Das wollt ich, Elke. Ich sagte dir schon, mir war Kopf und Herz voll Freude über die gute Nachricht, die der Oberdeichgraf mir gegeben hatte; so ritt ich eben wieder aus der Stadt hinaus, da, auf dem Damm, hinter dem Hafen, begegnet' mir ein ruppiger Kerl; ich wußt nicht, war's ein Vagabund, ein Kesselflicker oder was denn sonst. Der Kerl zog den Schimmel am Halfter hinter sich; das Tier aber hob den Kopf und sah mich aus blöden Augen an; mir war's, als ob es mich um etwas bitten wolle; ich war ja auch in diesem Augenblicke reich genug. ‚He, Landsmann!’, rief ich, ‚wo wollt Ihr mit der Kracke hin?’
Der Kerl blieb stehen und der Schimmel auch. ‚Verkaufen!’, sagte jener und nickte mir listig zu.
‚Nur nicht an mich!’, rief ich lustig.
‚Ich denke doch!’, sagte er; ‚das ist ein wacker Pferd und unter hundert Talern nicht bezahlt.’
Ich lachte ihm ins Gesicht.
‚Nun’, sagte er, ‚lacht nicht so hart; Ihr sollt's mir ja nicht zahlen! Aber ich kann's nicht brauchen, bei mir verkommt's; es würd bei Euch bald ander Ansehen haben!’
Da sprang ich von meinem Wallach und sah dem Schimmel ins Maul und sah wohl, es war noch ein junges Tier. ‚Was soll's denn kosten?’, rief ich, da auch das Pferd mich wiederum wie bittend ansah.
‚Herr, nehmt's für dreißig Taler!’, sagte der Kerl, ‚und den Halfter geb ich Euch darein!’
Und da, Frau, hab ich dem Burschen in die dargebotne braune Hand, die fast wie eine Klaue aussah, eingeschlagen. So haben wir den Schimmel, und ich denk auch, wohlfeil genug! Wunderlich nur war es, als ich mit den Pferden wegritt, hört ich bald hinter mir ein Lachen, und als ich den Kopf wandte, sah ich den Slowaken, der stand noch sperrbeinig, die Arme auf dem Rücken, und lachte wie ein Teufel hinter mir drein.’
‚Pfui’, rief Elke, ‚wenn der Schimmel nur nichts von seinem alten Herrn dir zubringt! Mög er dir gedeihen, Hauke!’
‚Er selber soll es wenigstens, soweit ich's leisten kann!’ Und der Deichgraf ging in den Stall, wie er vorhin dem Jungen es gesagt hatte.
– Aber nicht allein an jenem Abend fütterte er den Schimmel, er tat es fortan immer selbst und ließ kein Auge von dem Tiere; er wollte zeigen, daß er einen Priesterhandel gemacht habe; jedenfalls sollte nichts versehen werden. – Und schon nach wenig Wochen hob sich die Haltung des Tieres; allmählich verschwanden die rauhen Haare; ein blankes, blaugeapfeltes Fell kam zum Vorschein, und da er es eines Tages auf der Hofstatt umherführte, schritt es schlank auf seinen festen Beinen. Hauke dachte des abenteuerlichen Verkäufers. ‚Der Kerl war ein Narr oder ein Schuft, der es gestohlen hatte!’, murmelte er bei sich selber. – Bald auch, wenn das Pferd im Stall nur seine Schritte hörte, warf es den Kopf herum und wieherte ihm entgegen; nun sah er auch, es hatte, was die Araber verlangen, ein fleischlos Angesicht; draus blitzten ein Paar feurige braune Augen. Dann führte er es aus dem Stall und legte ihm einen leichten Sattel auf; aber kaum saß er droben, so fuhr dem Tier ein Wiehern wie ein Lustschrei aus der Kehle; es flog mit ihm davon, die Werfte hinab auf den Weg und dann dem Deiche zu; doch der Reiter saß fest, und als sie oben waren, ging es ruhiger, leicht, wie tanzend, und warf den Kopf dem Meere zu. Er klopfte und streichelte ihm den blanken Hals, aber es bedurfte dieser Liebkosung schon nicht mehr; das Pferd schien völlig eins mit seinem Reiter, und nachdem er eine Strecke nordwärts den Deich hinausgeritten war, wandte er es leicht und gelangte wieder an die Hofstatt.
Die Knechte standen unten an der Auffahrt und warteten der Rückkunft ihres Wirtes. ‚So, John’, rief dieser, indem er von seinem Pferde sprang, ‚nun reite du es in die Fenne zu den andern; es trägt dich wie in einer Wiege!’
Der Schimmel schüttelte den Kopf und wieherte laut in die sonnige Marschlandschaft hinaus, während ihm der Knecht den Sattel abschnallte und der Junge damit zur Geschirrkammer lief; dann legte er den Kopf auf seines Herrn Schulter und duldete behaglich dessen Liebkosung. Als aber der Knecht sich jetzt auf seinen Rücken schwingen wollte, sprang er mit einem jähen Satz zur Seite und stand dann wieder unbeweglich, die schönen Augen auf seinen Herrn gerichtet. ‚Hoho, Iven’, rief dieser, ‚hat er dir Leids getan?’, und suchte seinem Knecht vom Boden aufzuhelfen.
Der rieb sich eifrig an der Hüfte. ‚Nein, Herr, es geht noch; aber den Schimmel reit der Teufel!’
‚Und ich!’, setzte Hauke lachend hinzu. ‚So bring ihn am Zügel in die Fenne!’
Und als der Knecht etwas beschämt gehorchte, ließ sich der Schimmel ruhig von ihm führen.
– Einige Abende später standen Knecht und Junge miteinander vor der Stalltür; hinterm Deiche war das Abendrot erloschen, innerhalb desselben war schon der Koog von tiefer Dämmerung überwallt; nur selten kam aus der Ferne das Gebrüll eines aufgestörten Rindes oder der Schrei einer Lerche, deren Leben unter dem Überfall eines Wiesels oder einer Wasserratte endete. Der Knecht lehnte gegen den Türpfosten und rauchte aus einer kurzen Pfeife, deren Rauch er schon nicht mehr sehen konnte; gesprochen hatten er und der Junge noch nicht zusammen. Dem letzteren aber drückte etwas auf die Seele, er wußte nur nicht, wie er dem schweigsamen Knechte ankommen sollte. ‚Du, Iven!’, sagte er endlich, ‚weißt du, das Pferdsgeripp auf Jeverssand!’
‚Was ist damit?’, frug der Knecht.
‚Ja, Iven, was ist damit? Es ist gar nicht mehr da; weder Tages noch bei Mondschein; wohl zwanzigmal bin ich auf den Deich hinausgelaufen!’
‚Die alten Knochen sind wohl zusammengepoltert?’, sagte Iven und rauchte ruhig weiter.
‚Aber ich war auch bei Mondschein draußen, es geht auch drüben nichts auf Jeverssand!’
‚Ja’, sagte der Knecht, ‚sind die Knochen auseinandergefallen, so wird's wohl nicht mehr aufstehen können!’
‚Mach keinen Spaß, Iven! Ich weiß jetzt; ich kann dir sagen, wo es ist!’
Der Knecht drehte sich jäh zu ihm. ‚Nun, wo ist es denn?’
‚Wo?’, wiederholte der Junge nachdrücklich. ‚Es steht in unserem Stall; da steht's, seit es nicht mehr auf der Hallig ist. Es ist auch nicht umsonst, daß der Wirt es allzeit selber füttert; ich weiß Bescheid, Iven!’
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