Die Traumnovelle
€26.95
Die Ehe zwischen dem Arzt Fridolin und seiner Frau Albertine scheint perfekt. Doch unter der Oberfläche brodeln ungestillte erotische Begierden und Träume, die sie voneinander zu entfremden drohen. Während Albertine zaghaft von einem jungen Dänen träumt, unternimmt Fridolin des Nachts eine abenteuerliche Reise durch Wien, die ihn von der verliebten Tochter eines so eben verstorbenen Patienten über eine junge Prostituierte zu einem mysteriösen Maskenball führt, auf dem ihm eine wunderschöne Dame das Leben rettet. Doch gibt es noch Rettung für seine Ehe mit Albertine?
Autor: Arthur Schnitzler
Illustration:
ca. 92 Seiten
(Kursiv:wird durch Ihre Angaben ersetzt)
(Kursiv:wird durch Ihre Angaben ersetzt)
Leseprobe
Sie schwieg und blieb ohne jede Regung. Auch er rührte sich nicht und sprach kein Wort. Jedes wäre in diesem Augenblick matt, lügnerisch und feig erschienen. Je weiter sie in ihrer Erzählung fortgeschritten war, um so lächerlicher und nichtiger erschienen ihm seine eigenen Erlebnisse, soweit sie bisher gediehen waren, und er schwor sich, sie alle zu Ende zu erleben, sie ihr dann getreulich zu berichten und so Vergeltung zu üben an dieser Frau, die sich in ihrem Traum enthüllt hatte als die, die sie war, treulos, grausam und verräterisch, und die er in diesem Augenblick tiefer zu hassen glaubte, als er sie jemals geliebt hatte.Nun merkte er, daß er immer noch ihre Finger mit seinen Händen umfaßt hielt und daß er, wie sehr er diese Frau auch zu hassen gewillt war, für diese schlanken, kühlen, ihm so vertrauten Finger eine unveränderte, nur schmerzlicher gewordene Zärtlichkeit empfand; und unwillkürlich, ja gegen seinen Willen – ehe er diese vertraute Hand aus der seinen löste, berührte er sie sanft mit seinen Lippen.
Albertine öffnete noch immer nicht die Augen, Fridolin glaubte zu sehen, wie ihr Mund, ihre Stirn, ihr ganzes Antlitz mit beglücktem, verklärtem, unschuldsvollem Ausdruck lächelte, und er fühlte einen ihm selbst unbegreiflichen Drang, sich über Albertine zu beugen und auf ihre blasse Stirn einen Kuß zu drücken. Aber er bezwang sich in der Erkenntnis, daß es nur die allzu begreifliche Ermüdung nach den aufwühlenden Ereignissen der letzten Stunden war, die in der trügerischen Atmosphäre des Ehegemachs sich in sehnsüchtige Zärtlichkeit verkleidet hatte.
Doch wie immer es in diesem Augenblicke mit ihm stand zu welchen Entschlüssen er im Laufe der nächsten Stunden gelangen sollte, das dringende Gebot des Augenblicks für ihn war, sich auf eine Weile wenigstens in Schlaf und Vergessen zu flüchten. Auch in der Nacht, die dem Tod seiner Mutter gefolgt war, hatte er geschlafen, hatte tief und traumlos schlafen können, und er sollte es in dieser nicht? Und er streckte sich an der Seite Albertinens hin, die schon eingeschlummert zu sein schien. Ein Schwert zwischen uns, dachte er wieder. Und dann: wie Todfeinde liegen wir hier nebeneinander. Aber es war nur ein Wort.
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