Ein Sommer in London
€26.95
1852 reist Fontane zum wiederholten Mal nach England und verbringt dort einige Monate. In “Ein Sommer in London” schildert er nicht nur das London des 19. Jahrhunderts, sondern bietet zusätzlich einen Überblick der Geschichte Englands und liefert ein Porträt des Engländer an sich, seiner skurrilen Art, seiner Sicht auf die Welt und seines Verlangens nach Ruhm und Geld. Eine amüsante Einführung für jeden Englandreisenden, bereichert durch Anekdoten und Fakten.
Autor: Theodor Fontane
Illustration:
ca. 192 Seiten
(Kursiv:wird durch Ihre Angaben ersetzt)
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Leseprobe
Die MusikmacherDie Musik, wie jedermann weiß, ist die Achillesferse Englands. Wenn man sich vergegenwärtigt, welche musikalischen Unbilden das englische Ohr sich von früh bis spät gefallen läßt, so könnte man in der Tat geneigt werden, dem Engländer jeden Sinn für Wohlklang abzusprechen und auf die Seite Johanna Wagners oder besser ihres Vaters zu treten, der mit mehr Wahrheit als Klugheit die ihm nicht verziehenen Worte sprach, ‚daß hier viel Gold, aber wenig Ruhm zu holen sei‘. Man wolle indes aus dem Umstand, daß England des musikalischen Gehörs entbehrt, nicht voreilig schließen, es entbehre auch der musikalischen Lust; gegenteils, die alte Wahrheit bewährt sich wieder, daß der Mensch am liebsten das treibt, was ihm die Götter am kärgsten gereicht. Die große Forte-Piano-Krankheit hat längst auch diese friedliche Insel ergriffen, und da bekanntlich starke Organismen von jeder Krankheit doppelt heftig befallen werden, so herrscht denn auch das Klavierfieber hier in einem unerhörten Maße. Aber dies ist es nicht, was einen Veteranen, der viele Jahre lang die Nachbarschaften einer Berliner Chambre-garnie getragen und vom rasenden Lisztianer an bis zur Skala-spielenden Wirtstochter herunter alles durchgemacht hat, was bei ihm zu Lande einem menschlichen Ohre begegnen kann – dies ist es nicht, was einen bewährten Mut bricht; das eigentliche Schrecknis Londons sind die Straßenvirtuosen.
Man ist aufgestanden, sitzt beim Breakfast und liest, keines Überfalls gewärtig, die ‚Times‘, vielleicht gerade die vaterländische und nie überschlagne Spalte: ‚Prussia; from our own correspondent‘. Da schnarrt und klimpert es heran, immer näher und näher, faßt endlich Posto dicht am Gitter des Hauses und blickt, immer weiter drehend, mit dem braunen Gesicht so treuherzig ins Fenster, als hab' er die feste Oberzeugung, mit seiner Drehorgel alle Welt glücklich zu machen. Es ist ‚povero Italiano‘, wie er leibt und lebt; auch die Orgel ist echt mit ihren dünnen Hackbrettönen, und nur die tanzenden Puppen fehlen und der Affe, der an den Dachrinnen hinaufklettert. Ich kenn' ihn wohl, er kommt heute nur eine Stunde früher – es ist eine treue Seele, so treu, so unveränderlich, wie seine Stücke. Ach, wie oft hab' ich sie schon gehört und je mehr ich sie hasse, je mehr verfolgen sie mich. Thackeray erzählt gelegentlich von einem 68jährigen Manne, der eines Morgens ganz ernst beim Frühstück sagte: „Mir träumte diese Nacht, Mr. Robb züchtige mich.“ Seine Seele hatte die Schreckens-Eindrücke der Schule noch immer nicht ganz los werden können. Ich stehe nicht mehr in erster Jugend, aber ich halt' es nicht für unwahrscheinlich, daß mir noch nach dreißig Jahren ‚povero Italiano‘ im Traum erscheint und mich züchtigt – mit seiner Orgel.
Musik war seit Rizzios Zeiten oft die Brücke zwischen Italien und Schottland; auch heute reichen sie sich auf ihr die Hand: der Savoyarde ist fort und der Hochländer tritt an seine Stelle. Er ist nicht allein; die Hauptsache, den Dudelsack nicht einmal mitgerechnet, sind es ihrer fünf: Vater, Mutter und drei Kinder. Walter Scott hatte bekanntlich einen Dudelsackpfeifer im Hause, der ihm die Stimmung geben mußte, wenn er zur Feder griff. Diese Tatsache beweist nur den alten Satz, daß jeder große Mann an einer bestimmten Geschmacksverirrung leidet. Aber lassen wir Sir Walter und wenden wir uns wieder zu der Familie vor uns, der trostlosen Karikatur alles dessen, was meiner entzückten Phantasie vorschwebte, wenn ich das ‚Herz von Midlothian‘ las, oder mit Robert Burns, am Bergwasser entlang, zu einer seiner vielen Marys oder Bessys schlich. Diese älteste Tochter, die jetzt heiser ein altes Stuart-Lied ‚Charles my darling‘ durch die Straßen schreit, ist alles in der Welt, nur nicht ‚Das schöne Mädchen von Perth‘, der Kilt des Vaters ist so schmutzig, daß er die Farben keines oder jedes Clans zur Schau trägt, und meinen mitgebrachten Vorstellungen entspricht nichts, als allenfalls die nackten Knie.
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