Über den Umgang mit Menschen

26.95

Knigges “Über den Umgang mit Menschen” wurde im Laufe der Jahrhunderte immer mehr zur Anstandsfibel und zum Benimmratgeber uminterpretiert, der Name “Knigge” zum sprichwörtlichen Begriff für gutes Benehmen und Etikette. In Wirklichkeit enthält sein bekanntestes Werk Regeln für den richtigen Umgang mit Menschen, die auf den Werten der Aufklärung, deren “Grundpfeiler Moral und Weltklugheit” sind, beruhen. In drei Teilen erläutert Knigge seine Bemerkungen und Vorschriften über den Umgang mit Menschen – ob mit sich selbst, Eltern, Ehepartnern, Frauen, Freunden, Nachbarn oder Geistlichen – und mit Tieren sowie auch über das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Leser. Der Knigge lehrt also nicht, wie man sich richtig zu Tisch benimmt, sondern enthält wichtige Lebensweisheiten für den Umgang mit anderen, zur alltäglichen Anwendung.


Autor: Adolph Freiherr Knigge
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ca. 376 Seiten
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Abriss

Das 1788 erschienene bekannteste Werk Knigges enthält eine von den Idealen der Aufklärung geprägte Sammlung von Umgangsregeln und ist bis heute von geschichtlichem, soziologischem, und gesellschaftsphilosophischem Interesse.

Epoche

18. Jahrhundert

Schauplatz

Deutschland
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Leseprobe

Wir sehen die klügsten, verständigsten Menschen im gemeinen Leben Schritte tun, wozu wir den Kopf schütteln müssen.
Wir sehen die feinsten theoretischen Menschenkenner das Opfer des gröbsten Betrugs werden.
Wir sehen die erfahrensten, geschicktesten Männer bei alltäglichen Vorfällen unzweckmäßige Mittel wählen, sehen, daß es ihnen mißlingt, auf andre zu wirken, daß sie, mit allem Übergewichte der Vernunft, dennoch oft von fremden Torheiten, Grillen und von dem Eigensinne der Schwächeren abhängen, daß sie von schiefen Köpfen, die nicht wert sind, ihre Schuhriemen aufzulösen, sich müssen regieren und mißhandeln lassen, daß hingegen Schwächlinge und Unmündige an Geist Dinge durchsetzen, die der Weise kaum zu wünschen wagen darf.
Wir sehen manchen Redlichen fast allgemein verkannt.
Wir sehen die witzigsten, hellsten Köpfe in Gesellschaften, wo aller Augen auf sie gerichtet waren und jedermann begierig auf jedes Wort lauerte, das aus ihrem Munde kommen würde, eine nicht vorteilhafte Rolle spielen, sehen, wie sie verstummen oder lauter gemeine Dinge sagen, indes ein andrer äußerst leerer Mensch seine dreiundzwanzig Begriffe, die er hie und da aufgeschnappt hat, so durcheinander zu werfen und aufzustutzen versteht, daß er Aufmerksamkeit erregt und selbst bei Männern von Kenntnissen für etwas gilt.
Wir sehen, daß die glänzendsten Schönheiten nicht allenthalben gefallen, indes Personen, mit weniger äußern Annehmlichkeiten ausgerüstet, allgemein interessieren.
Alle diese Bemerkungen scheinen uns zu sagen, daß die gelehrtesten Männer, wenn nicht zuweilen die untüchtigsten zu allen Weltgeschäften, doch wenigstens unglücklich genug sind, durch den Mangel einer gewissen Gewandtheit zurückgesetzt zu bleiben, und daß die Geistreichsten, von der Natur mit allen innern und äußern Vorzügen beschenkt, oft am wenigsten zu gefallen, zu glänzen verstehen.
Ich rede aber hier nicht von der freiwilligen Verzichtleistung des Weisen auf die Bewunderung des vornehmen und geringen Pöbels. Daß der Mann von bessrer Art da in sich selbst verschlossen schweigt, wo er nicht verstanden wird; daß der Witzige, Geistvolle in einem Zirkel schaler Köpfe sich nicht so weit herabläßt, den Spaßmacher zu spielen; daß der Mann von einer gewissen Würde im Charakter zu viel Stolz hat, sein ganzes Wesen nach jeder ihm unbedeutenden Gesellschaft umzuformen, die Stimmung anzunehmen, wozu die jungen Laffen seiner Vaterstadt den Ton mit von Reisen gebracht haben, oder den grade die Laune einer herrschenden Kokette zum Konversations-, Kammer- und Chorton erhebt; daß es den Jüngling besser kleidet, bescheiden, schüchtern und still, als, nach Art der mehrsten unsrer heutigen jungen Leute, vorlaut, selbstgenügsam und plauderhaft zu sein; daß der edle Mann, je klüger er ist, um desto bescheidener, um desto mißtrauischer gegen seine eigenen Kenntnisse, um desto weniger zudringlich sein wird; oder daß, je mehr innerer, wahrer Verdienste sich jemand bewußt ist, er um desto weniger Kunst anwenden wird, seine vorteilhaften Seiten hervorzukehren, so wie die wahrhafte Schönheit alle kleinen anlockenden, unwürdigen Buhlkünste, wodurch man sich bemerkbar zu machen sucht, verachtet, – das alles ist wohl sehr natürlich! – Davon rede ich also nicht.
(*Vermutlich war es diese Stelle in meinem Buche, welche einen Herrn Quidam bewog, in seiner Rezension der ersten Auflage, zu sagen: „Ich hätte mir Schilderungen erlaubt, die manchen Leser beleidigen würden.“ Das ist möglich! Ein Buch voll Sittengemälde kann nicht so trocken geschrieben sein als ein Kompendium. Dies beleidigt freilich nicht leicht jemand anders als etwa den echten Geschmack, die gesunde Vernunft und den Systemgeist irgendeines Pedanten. Wer hingegen die Sitten der Menschen schildert, der kommt nicht so wohlfeil davon. Er kann nicht füglich ihre Torheiten verschweigen; fühlt nun ein Narr, dem eine dieser Torheiten anklebt, sich dadurch getroffen, dann geht der Lärm los. So könnte es zum Beispiel geschehen, daß, wenn ich von den Lächerlichkeiten eines Professors geredet hätte, der außer seiner Studierstube, oder wenigstens außer seiner akademischen Sphäre, in welcher er sich für ein großes Weltlicht halten läßt und Orakel predigt, eine elende Figur spielte, daß, sage ich, ein solcher Professor, der das lese, darüber sehr entrüstet und wohl gar gereizt würde, deswegen eine hämische Rezension meines Buchs drucken zu lassen; allein das benähme denn doch wohl diesem Buche nichts von seinem Werte. Eine äußerst boshafte Stelle in vorerwähnter Rezension aber, und die ich nicht so kaltblütig übersehen kann, ist die, wo der große Gelehrte mir Schuld gibt: „ich hätte Vorschriften gegeben, welche die strenge Sittlichkeit nicht gutheißen könne.“ Ich fordre ihn auf, mir, nicht nur in diesem meinem neuen, sondern in irgendeinem Buche, daß ich je geschrieben habe, eine Stelle anzuführen, die eine solche mich vor dem Publico verleumdende Anklage begründen könnte. A. d. H.)
Auch nicht von der beleidigten Eitelkeit eines Mannes voll Forderungen, der unaufhörlich eingeräuchert, geschmeichelt und vorgezogen zu werden verlangt und, wo das nicht geschieht, eine traurige Figur macht; nicht von dem gekränkten Hochmute eines abgeschmackten Pedanten, der das Maul hängen läßt, wenn er das Unglück hat, nicht aller Orten für ein großes Licht der Erden bekannt und als ein solches behandelt zu sein, wenn nicht jeder mit seinem Lämpchen herzuläuft, um es an diesem großen Lichte der Aufklärung anzuzünden. Wenn ein steifer Professor, der gewöhnt ist, von seinem bestaubten Dreifuße herunter, sein Kompendium in der Hand, einem Haufen gaffender, unbärtiger Musensöhne stundenlang hohe Weisheit vorzupredigen und dann zu sehn, wie sogar seine platten, in jedem halben Jahre wiederholten Späße sorgfältig nachgeschrieben werden; wie jeder Student so ehrerbietig den Hut vor ihm abzieht, und mancher, der nachher seinem Vaterlande Gesetze gibt, ihm des Sonntags im Staatskleide die Aufwartung macht; wenn ein solcher einmal die Residenz oder irgendeine andre Stadt besucht, und das Unglück nun will, daß man ihn dort kaum dem Namen nach kennt, daß er in einer feinen Gesellschaft von zwanzig Personen gänzlich übersehen oder von irgendeinem Fremden für den Kammerdiener im Hause gehalten und Er genannt wird, er dann ergrimmt und ein verdrossenes Gesicht zeigt; oder wenn ein Stubengelehrter, der ganz fremd in der Welt, ohne Erziehung und ohne Menschenkenntnis ist, sich einmal aus dem Haufen seiner Bücher hervorarbeitet, und er dann äußerst verlegen mit seiner Figur, buntscheckig und altväterisch gekleidet, in seinem vor dreißig Jahren nach der neuesten Mode verfertigten Bräutigamsrocke dasitzt und an nichts von allem, was gesprochen wird, Anteil nehmen, keinen Faden finden kann, um mit anzuknüpfen, so gehört das alles nicht hierher.
Ebensowenig rede ich von dem groben Zyniker, der nach seinem Hottentottensysteme alle Regeln verachtet, welche Konvenienz und gegenseitige Gefälligkeit den Menschen im bürgerlichen Leben vorgeschrieben haben, noch von dem Kraftgenie, das sich über Sitte, Anstand und Vernunft hinauszusetzen einen besonderen Freibrief zu haben glaubt.
Und wenn ich sage, daß oft auch die weisesten und klügsten Menschen in aller Welt, im Umgange und in Erlangung äußerer Achtung, bürgerlicher und andrer Vorteile ihres Zwecks verfehlen, ihr Glück nicht machen, so bringe ich hier weder in Anschlag, daß ein widriges Geschick zuweilen den Besten verfolgt, noch daß eine unglückliche leidenschaftliche oder ungesellige Gemütsart bei manchem die vorzüglichsten, edelsten Eigenschaften verdunkelt.
Nein! meine Bemerkung trifft Personen, die wahrlich allen guten Willen und treue Rechtschaffenheit mit mannigfaltigen, recht vorzüglichen Eigenschaften und dem eifrigen Bestreben, in der Welt fortzukommen, eigenes und fremdes Glück zu bauen, verbinden, und die dennoch mit diesem allen verkannt, übersehen werden, zu gar nichts gelangen. Woher kommt das? Was ist es, das diesen fehlt und andre haben, die, bei dem Mangel wahrer Vorzüge, alle Stufen menschlicher, irdischer Glückseligkeit ersteigen? – Was die Franzosen den esprit de conduite nennen, das fehlt jenen: die Kunst des Umgangs mit Menschen – eine Kunst, die oft der schwache Kopf, ohne darauf zu studieren, viel besser erlauert als der verständige, weise, witzreiche; die Kunst, sich bemerkbar, geltend, geachtet zu machen, ohne beneidet zu werden; sich nach den Temperamenten, Einsichten und Neigungen der Menschen zu richten, ohne falsch zu sein; sich ungezwungen in den Ton jeder Gesellschaft stimmen zu können, ohne weder Eigentümlichkeit des Charakters zu verlieren, noch sich zu niedriger Schmeichelei herabzulassen. Der, welchen nicht die Natur schon mit dieser glücklichen Anlage hat geboren werden lassen, erwerbe sich Studium der Menschen, eine gewisse Geschmeidigkeit, Geselligkeit, Nachgiebigkeit, Duldung, zu rechter Zeit Verleugnung, Gewalt über heftige Leidenschaften, Wachsamkeit auf sich selber und Heiterkeit des immer gleich gestimmten Gemüts; und er wird sich jene Kunst zu eigen machen; doch hüte man sich, dieselbe zu verwechseln mit der schändlichen, niedrigen Gefälligkeit des verworfenen Sklaven, der sich von jedem mißbrauchen läßt, sich jedem preisgibt; um eine Mahlzeit zu gewinnen, dem Schurken huldigt, und um eine Bedienung zu erhalten, zum Unrechte schweigt, zum Betruge die Hände bietet und die Dummheit vergöttert!
Indem ich aber von jenem esprit de conduite rede, der uns leiten muß, bei unserm Umgange mit Menschen aller Gattung, so will ich nicht etwa ein Komplimentierbuch schreiben, sondern einige Resultate aus den Erfahrungen ziehen, die ich gesammelt habe, während einer nicht kurzen Reihe von Jahren, in welchen ich mich unter Menschen aller Arten und Stände umhertreiben lassen und oft in der Stille beobachtet habe. – Kein vollständiges System, aber Bruchstücke, vielleicht nicht zu verwerfende Materialien, Stoff zu weiterem Nachdenken.

Adolph Freiherr Knigge

Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge wurde am 16.10.1752 in Bredenbeck bei Hannover geboren. Nach der Erziehung durch Hofmeister studierte Knigge 1769-72 Jura in Göttingen. 1772 erhielt er eine Anstellung als Hofjunker und Assessor der Kriegs- und Domänenkasse in Kassel. 1777 wurde er weimarischer Kammerherr. Seine Tätigkeit für den Illuminatenorden (1780-84) und sein Eintreten für die Verwirklichung der Menschenrechte ließen den in unsicheren wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Kleinadligen bei seinen aristokratischen Gönnern ins Zwielicht geraten, führten schließlich zum Verlust des Vermögens und nötigten ihn zur Anpassung an bürgerliche Lebensformen. Erst 1790 erhielt der inzwischen schwerkranke Knigge mit der Stelle als Oberhauptmann und Scholarch von Bremen die Möglichkeit zu einem von finanziellen Sorgen freien Leben. Er starb am 6.5.1796 in Bremen.


Eine Auswahl an Werken:

1781 Der Roman meines Lebens 1783-85 Geschichte Peter Clausens 1788 Über den Umgang mit Menschen 1789 Geschichte des armen Herrn von Mildenberg 1791 Das Zauberschloß oder Geschichte des Grafen Tunger 1792 Politisches Glaubensbekenntnis von Joseph Wurmbrand 1792 Die Reise nach Braunschweig 1793 Über Schriftsteller und Schriftstellerey 1794 Geschichte des Amtsraths Guthmann 1795 Reise nach Fritzlar im Sommer 1794

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