Winnetou III
Nachdem Old Shatterhand gemeinsam mit dem berühmten Westmann Sans-Ear den Verbrecher Fred Morgan erledigt hat, trifft er wieder mit Winnetou zusammen. Sie verhindern einen Überfall auf eine Bahnstation und schlagen die Zugräuber und deren Verbündete, die Sioux, in die Flucht. Diese überfallen eine Siedlung und verschleppen alle Bewohner. Winnetou und Old Shatterhand machen sich auf zur Rettungsaktion am Berg Hancock, wo es zur entscheidenden Schlacht kommt - und Winnetou sein Leben verliert. Auf dem Weg zu den Apachen, denen Old Shatterhand vom Tod ihres Häupltings berichten will, kommt er Santer auf die Spur, der Winnetous Testament gestohlen hat und hinter dessen Gold her ist - dieses begräbt jedoch den Mörder von Winnetous Vater und Schwester unter sich und er findet den Tod.
Autor: Karl May
Illustration:
ca. 520 Seiten
Schauplatz
Nordamerika (der Wilde Westen)Epoche
19. JahrhundertAbriss
Der wohl berühmteste Indianer in der deutschen Literatur: Winnetou, der Häuptling der Apachen, der mit seiner Silberbüchse, seinem Pferd Iltschi und seinem Blutsbruder Old Shatterhand für Gerechtigkeit kämpft.Leseprobe
Er stand am Rande des Waldes, an einen Baum gelehnt, und blickte starren Auges gen Westen in die über dem Horizonte liegenden Wolkengebilde, deren vorher goldumsäumte Ränder im letzten Erblassen begriffen waren. Trotzdem ich sehr leise ging und trotz der Versunkenheit, in welcher er sich augenscheinlich befand, hörte er nicht nur meine Schritte, sondern wußte sogar, wer sich ihm näherte. Ohne sich nach mir umzusehen, sagte er:„Mein Bruder Schar-lih kommt, um nach seinem Freunde zu sehen. Er tut recht daran, denn bald wird er ihn nicht mehr sehen.“
Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und antwortete:
„Lagern Schatten auf dem Gemüte meines Bruders Winnetou? Er mag sie verjagen.“
Da hob er die Hand und deutete gegen Westen.
„Dort flammte das Feuer und die Glut des Lebens; nun ist's vorbei und wird finster. Gehe hin! Kannst du die Schatten verjagen, die dort niedersinken?“
„Nein; aber das Licht kommt am frühen Morgen wieder, und ein neuer Tag bricht an.“
„Für den Hancock-Berg wird morgen ein neuer Tag beginnen, aber nicht für Winnetou. Seine Sonne wird erlöschen, wie diese dort erloschen ist, und nimmer wieder aufgehen. Die nächste Morgenröte wird ihm im jenseits lachen.“
„Das sind Todesahnungen, denen sich mein lieber Bruder Winnetou nicht hingeben darf! Ja, der heutige Abend wird ein sehr gefährlicher für uns sein; aber wie oft haben wir dem Tode in das Auge geschaut, und doch ist er, so oft er die Hand nach uns ausstreckte, vor unserm heitern, festen Blicke zurückgewichen. Verbanne die Schwermut, die dich ergriffen hat! Sie hat ihren Grund nur in den körperlichen und geistigen Anstrengungen der letzten Tage.“
„Nein, Winnetou läßt sich von keiner Anstrengung bemeistern, und keine Ermüdung kann ihm die Heiterkeit seiner Seele rauben. Mein Bruder Old Shatterhand kennt mich und weiß, daß ich nach dem Wasser der Erkenntnis, des Wissens gedürstet habe. Du hast es mir gereicht, und ich trank davon in vollen Zügen. Ich habe viel gelernt, so viel wie keiner von meinen Brüdern, bin aber dennoch ein roter Mann geblieben. Der Weiße gleicht dem gelehrigen Haustiere, dessen Instinkt sich verändert hat, der Indianer aber dem Wilde, welches nicht nur seine scharfen Sinne behalten hat, sondern auch mit der Seele hört und riecht. Das Wild weiß ganz genau, wenn der Tod sich ihm naht; es ahnt ihn nicht nur, sondern es fühlt sein Kommen und verkriecht sich im tiefsten Dickicht des Waldes, um ruhig und einsam zu verenden. Diese Ahnung, dieses Gefühl, welches niemals täuscht, empfindet Winnetou in diesem Augenblicke.“
Ich drückte ihn an mich und entgegnete:
„Und dennoch täuschet es dich. Hast du dieses Gefühl vielleicht schon einmal gehabt?“
„Nein.“
„Also heut zum erstenmal?“
„Ja.“
„Wie kannst du es da kennen? Wie kannst du wissen, daß es die Ahnung des Todes ist!“
„Es ist so deutlich, so deutlich! Es sagt mir, daß Winnetou sterben wird mit einer Kugel in der Brust. Denn nur eine Kugel kann mich werfen; ein Messer oder einen Tomahawk würde der Häuptling der Apachen leicht von sich wehren. Mein Bruder mag mir glauben, ich gehe heut in die ewigen Jagd –“
Er hielt inne. „In die ewigen Jagdgründe“ hatte er nach dem Glauben der Indianer sagen wollen. Was hielt ihn ab, dieses Wort vollends auszusprechen? Ich wußte es: Er war durch den Umgang mit mir in seinem Innern ein Christ geworden, obgleich er es vermieden hatte, es zu sagen. Er schlang den Arm um mich und veränderte das erst beabsichtigte Wort:
„Ich gehe heut dahin, wo der Sohn des guten Manitou uns vorausgegangen ist, um uns die Wohnungen im Hause seines Vaters zu bereiten, und wohin mir mein Bruder Old Shatterhand einst nachfolgen wird. Dort werden wir uns wiedersehen, und es wird keinen Unterschied mehr geben zwischen den weißen und den roten Kindern des Vaters, der beide mit derselben unendlichen Liebe umfängt. Es wird dann ewiger Friede sein; es wird kein Morden mehr geben, kein Erwürgen von Menschen, welche gut waren und den Weißen friedlich und vertrauend entgegenkamen, aber dafür ausgerottet wurden. Dann wird der gute Manitou die Waagschalen in seiner Hand halten, um die Taten der Weißen und der Roten abzuwägen und das Blut, welches unschuldig geflossen ist. Winnetou aber wird dabeistehen und für die Mörder seiner Nation, seiner Brüder, um Gnade und Erbarmen bitten.“
Er drückte mich an sich und schwieg. Ich war tief bewegt, denn eine innere Stimme flüsterte mir zu: „Sein Instinkt hat ihn nie getäuscht; vielleicht spricht er auch dieses Mal die Wahrheit.“ Dennoch sagte ich:
„Mein Bruder Winnetou hält sich für stärker, als er ist. Er ist der gewaltigste Krieger seines Stammes, aber doch auch nur ein Mensch. Ich habe ihn noch nie ermatten sehen, heut aber ist er müde geworden, denn die vergangenen Tage und Nächte haben allzuviel von uns verlangt. Das drückt die Seele nieder und schwächt das Selbstvertrauen; es entstehen trübe Gedanken, welche verschwinden, wenn die Müdigkeit gewichen ist. Mein Bruder mag sich ausruhen. Er mag sich zu den Männern legen, welche hier unten am Berge bleiben.“
Er schüttelte langsam den Kopf und antwortete:
„Das sagt mein Bruder Schar-lih nicht im Ernste.“
„O doch! Ich habe die Höhle des Berges ja gesehen und mit dem Auge genau gemessen; es genügt, wenn ich allein die Angreifer anführe.“
„Ich soll nicht dabei sein?“, fragte er da, indem seine Augen erhöhten Glanz bekamen.
„Du hast genug getan; du sollst ruhen.“
„Hast du nicht auch genug getan, ja noch viel mehr als ich und alle Andern? Ich bleibe nicht zurück!“
„Auch nicht, wenn ich dich darum bitte, wenn ich es als Opfer der Freundschaft von dir verlange?“
„Auch dann nicht! Soll man sagen, daß Winnetou, der Häuptling der Apachen, den Tod gefürchtet habe?“
„Kein Mensch wird wagen, dies zu sagen!“
„Und wenn alle schweigen und es mir nicht als Feigheit anrechneten, Einen würde es doch geben, dessen Vorwurf mir die Röte der Scham in die Wange triebe.“
„Wer wäre das?“
„Ich, ich selbst! Ich würde diesem Winnetou, welcher ruhte, als sein Bruder Schar-lih kämpfte, ohne sich vor dem Tode zu fürchten, immer und immer in die Ohren schreien, daß er unter die Feiglinge gegangen und nicht länger würdig sei, sich einen Krieger, einen Häuptling seines tapfern Volkes zu nennen. Nein, nein, sprich nicht davon, daß ich zurückbleiben soll. Soll mein Bruder Shatterhand mich im Stillen, wenn er es auch nicht laut tun würde, zu den mutlosen Coyoten rechnen? Soll Winnetou sich selbst verachten? Lieber zehnmal, hundertmal und tausendmal den Tod!“
Dieser letztere Grund gebot mir allerdings, zu schweigen. Winnetou wäre an dem Selbstvorwurfe, feig gehandelt zu haben, innerlich und äußerlich zugrunde gegangen. Er fuhr nach einer Pause fort:
„Wir standen dem Tode so oft gegenüber, und mein Bruder war stets auf ihn vorbereitet und hat für mich in sein Notizbuch eingeschrieben, was geschehen soll, wenn er einmal im Kampfe fällt. Ich soll dann das Buch nehmen und es lesen und ausführen. Das wird von den Bleichgesichtern ein Testament genannt. Winnetou hat auch ein Testament gemacht, aber noch nichts davon gesagt. Heut, wo er die Nähe des Todes fühlt, muß er davon sprechen. Willst du der Vollstrecker sein?“
„Ja. Ich weiß und ich wünsche, daß deine Ahnung nicht in Erfüllung geht, daß du noch viele, viele Sonnen auf der Erde wandelst; aber wenn du einmal stirbst und ich deinen letzten Willen kenne, soll es mir die heiligste der Pflichten sein, ihn auszuführen.“
„Auch wenn es schwer, sehr schwer sein würde und mit großen Gefahren verbunden?“
„So fragt Winnetou doch nicht im Ernste. Schicke mich in den Tod; ich gehe!“
„Ich weiß es, Schar-lih. Für mich würdest du ihm in den offenen Rachen springen. Du wirst tun, was ich mir von dir erbitte. Du allein bist's, der es ausführen kann. Erinnerst du dich, daß wir einst, als ich dich noch nicht so wie jetzt kannte, über den Reichtum miteinander sprachen?“
„Ja, sehr genau.“
„Ich hörte es damals deiner Stimme an, daß du doch vielleicht anders dachtest, als du sagtest, Das Gold hatte großen Wert für dich. Habe ich da recht gedacht?“
„Du hast dich wenigstens nicht ganz geirrt“, gestand ich ein.
„Und jetzt? Du wirst mir die Wahrheit sagen.“
„Jeder Weiße kennt den Wert des Besitzes, doch trachte ich nicht nach toten Schätzen und äußeren Genüssen. Das wahre Glück gründet sich nur auf die Schätze, welche man im Herzen sammelt.“
„Ich wußte, daß du heut so sprechen würdest. Du weißt, daß ich viele Orte kenne, wo Gold in Gängen und als Nuggets und Staub zu finden ist; ich brauchte dir nur einen einzigen solchen Ort zu sagen, so wärest du ein reicher, ein sehr reicher Mann, aber auch dann nicht mehr ein – glücklicher Mann. Der gute, weiße Manitou hat dich nicht geschaffen, um weichlich in Reichtümern zu schwelgen; dein starker Körper und deine Seele sind zu Besserem bestimmt. Du bist ein Mann und sollst ein Mann bleiben; darum bin ich stets entschlossen gewesen, dir keinen der Fundorte des Goldes zu verraten. Wirst du mir dafür zürnen?“
„Nein“, antwortete ich, in diesem Augenblicke wirklich der Wahrheit gemäß. Ich stand vor dem besten Freunde, den ich je gehabt habe; er sah den Tod vor sich und vertraute mir seinen letzten Willen an; wie hätte es mir da beikommen können, niedere Gier nach Gold zu zeigen!
„Und doch wirst du Gold zu sehen bekommen, viel Gold“, sprach er weiter; „aber es ist nicht für dich bestimmt. Wenn ich gestorben bin, so suche das Grab meines Vaters auf; du kennst es ja. Wenn du am Fuße desselben, genau an der Westseite, in die Erde gräbst, wirst du das Testament deines Winnetou finden, der dann nicht mehr bei dir ist. Ich habe meine Wünsche aufgezeichnet, und du wirst sie erfüllen.“
„Mein Wort ist wie ein Schwur“, versicherte ich ihm mit Tränen in den Augen. „Keine Gefahr, und sei sie noch so groß, kann mich abhalten, auszuführen, was du aufgeschrieben hast.“
„Ich danke dir! Wir sind jetzt fertig. Die Zeit zum Angriff ist gekommen. Ich werde den Kampf nicht überleben. Laß uns Abschied nehmen, mein lieber, lieber Schar-lih! Der gute Manitou mag dir vergelten, daß du mir so viel, so viel gewesen bist! Mein Herz fühlt mehr, als ich mit Worten sagen kann. Laß uns nicht weinen, die wir Männer sind! Begrabe mich in den Gros-Ventre-Bergen, an dem Ufer des Metsurflusses, auf meinem Pferde und mit allen meinen Waffen, auch mit meiner Silberbüchse, die in keine anderen Hände kommen soll. Und wenn du dann zu den Menschen zurückgekehrt bist, von denen keiner dich so lieben wird, wie ich dich liebe, so denke zuweilen an deinen Freund und Bruder Winnetou, der dich jetzt segnet, weil du ihm ein Segen warst!“
Er, der Indianer, legte mir die Hände auf das Haupt. Ich hörte, daß er nur mit Mühe das Schluchzen unterdrücken konnte, und riß ihn mit beiden Armen an mich, indem ich weinend hervorstieß:
„Winnetou, mein Winnetou, es ist ja nur eine Ahnung, ein Schatten, der vorübergeht. Du mußt bei mir bleiben; du darfst nicht fort!“
„Ich gehe fort!“, antwortete er leise aber bestimmt, riß sich mit Überwindung seiner selbst von mir los und wendete sich nach dem Lagerplatz zurück.
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